Zum Hintergrund der "Fatemen", gerne zuerst hier
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Und plötzlich warst du weg.
Eben noch balanciertest du zum Spaß auf der verwitterten weißen Linie auf unserem Dorfbahnsteig. Dann ein Donnern, als uns hinterrücks der Sprinter überraschte, und du warst spurlos verschwunden.
Nicht ganz spurlos, wie wir später von der Polizei erfuhren. Aber es war nicht einmal genug, um die Urne zu füllen, die gestern in die Erde gesenkt wurde.
Wir waren zusammen von der Abi-Fete gekommen – euphorisiert von den Drinks, der Musik und unseren grandiosen Prüfungsergebnissen. Wir sprachen davon, wie wir die Welt verändern wollten – du in der Biotechnologie und ich in der Medizin. Dann kamst du auf diese Idee. Diese tödliche Idee, wie wir jetzt wissen. Ich war weit genug auf dem Bahnsteig, dass mich der Sog nur stolpern ließ. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, war auch der Zug schon in der Nacht verschwunden.
Und um mich herum nur Stille. Diese entsetzliche Stille.
Doch ich nahm sie nicht lange wahr, denn dann begannen die Schreie.
Inzwischen weiß ich, dass diese Kakophonie nur in meinem Kopf ist. Aber sie übertönt alles. Und nimmt mir die Fähigkeit, etwas anderes von der Welt um mich herum zu hören.
Ich sehe, wie die Leute ihre Münder bewegen, doch keines ihrer Worte dringt zu mir vor. Und auch, wenn ich zu sprechen versuche, weiß ich nicht, ob Töne meine Lippen verlassen. Den ratlosen Gesichtern meiner Familie und Freunde nach zu urteilen, wird es wohl nicht so sein.
Ich müsste irgendwie zur Ruhe kommen. Aber wie soll ich das schaffen? An Schlafen ist kaum zu denken. Das schaffe ich nicht willentlich. Mein Körper ergibt sich nur hin und wieder der Erschöpfung. Aber sobald ich das Bewusstsein wiedererlange, ist es wie vorher.
Auch jetzt, wo ich allein in meinem abgedunkelten Raum mit offenen Augen auf dem Bett liege, sind die fürchterlichen Geräusche da.
Hilfe!, schreie ich in meinem Kopf gegen das Tosen an. Bitte, es kann doch nicht sein, dass ich den Rest meines Lebens so verbringen muss. Es gibt doch noch so vieles, was ich tun will.
Da hast du allerdings recht, erhalte ich plötzlich zur Antwort.
Eine Antwort, die ich trotz des Chaos in mir klar und deutlich verstehen kann.
Ich fahre hoch und blicke mich hektisch im Halbdunkel um.
In einer Ecke des Zimmers, halb hinter mir, erkenne ich tatsächlich jemanden. Es ist ein Mann, der – kann das sein? – gerade dabei ist, einen Schirm zusammenzufalten. Er nickt mir kurz lächelnd zu und hebt dabei leicht die Melone, die er auf dem Kopf trägt.
Warum macht mir das keine Angst? Warum renne ich nicht schreiend vor ihm weg?
Ich nehme an, dass du ... ich darf doch ‘du’ sagen? ... in den letzten Tagen viel Schlimmeres erlebt hast, als jemanden, der sich in deinem Refugium materialisiert, beantwortet er meine unausgesprochene Frage.
Auch dies nehme ich über die Kakophonie hinweg wahr. Ich habe sogar fast das Gefühl, dass sie etwas leiser wird.
Ja, das können ... kannst du. Aber ... wer bist du?
Der Mann tritt aus der Ecke hervor und kommt langsam auf mich zu.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ein weiteres Accessoire sein ganzes Erscheinungsbild umso ungewöhnlicher wirken lässt. Es ist eine leicht golden schimmernde Piloten-Sonnenbrille, die er nun abnimmt und auf meinem Nachttisch ablegt, bevor er sich einen Stuhl heranzieht, um sich darauf neben mein Bett zu setzen.
Bevor wir uns weiter unterhalten, sollte ich erst einmal für Erleichterung sorgen, bemerkt er und streckt mir seine Hand entgegen.
Ohne Nachzudenken, ergreife ich sie und in dem Augenblick, wo sich unsere Finger berühren, habe ich das Gefühl, dass auch ich von einem Zug erfasst werde.
Keuchend atme ich ein. In mir ein Mahlstrom, der danach trachtet, mir die Sinne zu nehmen. Es kommt mir so vor, als würde die ganze Welt auf mich einstürzen, aber dann wird mir klar, was geschehen ist.
Das Schreien. Es hat aufgehört.
Stille – gnädige Stille.
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich den Mann an, dessen Hand ich immer noch in meiner halte.
Jetzt, wo das erledigt ist, meine überfällige Vorstellung, bemerkt er lächelnd. Gestatten, Elliott F. George.
Während er diese Worte an mich richtet, bewegen sich seine Lippen keinen Millimeter.
Bin ich ... verrückt geworden?
Oh, nein, keinesfalls.
Nun verziehen sich seine Lippen zu einem Lächeln, dann wird er wieder ernst. Du trauerst, allerdings wesentlich tiefer, als man dies üblicherweise tut. In deinem Fall ist dies jedoch gut zu verstehen. Mein Beileid.
Woher weißt du ...?
Er verneigt sich leicht. Ich gehöre zu den Fatemen. Wir wissen einige Dinge.
Und was weißt du über ...
Dass der Zufall manchmal einen verdammt miesen Sinn für Humor hat.
Ich schaue Elliott mit gerunzelter Stirn an.
Ich kann jetzt nicht viel dazu sagen, aber eins sollst du wissen. Wenn es nicht eine unglaublich komplexe Verkettung von Umständen gegeben hätte, dann hätte dein Freund eine glänzende Zukunft vor sich gehabt. Er hätte sogar eines Tages ... das würde jetzt zu weit führen.
Ich gebe ein Schnauben von mir.
Ja, so hatten wir uns das vorgestellt, als ...
Eben, unterbricht er mich und drückt meine Hand fester mit der seinen. Und weil dies so ist, haben wir auch beschlossen, einzugreifen.
Nun klammere ich mich fester an seine Hand, ziehe sie sogar ein Stück zu mir heran.
Heißt das, er wird wieder ...?
Nein, lenkt er mit trauriger Miene ein. Den Kreislauf von Leben und Tod können auch wir nicht durchbrechen. Aber wir können dafür sorgen, dass er sein Werk in einem anderen Dasein vollführen kann.
Das heißt, ich werde ihn doch nicht mehr wiedersehen?
»Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden.« Die letzten Worte dringen krächzend aus meinem Mund.
Er fixiert mich mit ernstem Blick.
Das wird dir möglich sein – vielleicht sogar etwas mehr. Du wirst es sehen, wenn du dich erblickst.
Dabei huschen seine Augen kurz zu einem Punkt rechts neben mir. Übrigens kannst du mich jetzt loslassen.
Voll neu erwachender Furcht verstärke ich unwillkürlich meinen Griff.
Du brauchst keine Angst zu haben. Das Schreien kommt nicht zurück. Es war deine Seele, die sich nicht anders zu helfen wusste.
Mit spontan aufkeimendem Vertrauen nicke ich und gebe seine Hand frei.
Er hat nicht gelogen. Die Stille bleibt.
Elliott erhebt sich und tritt zwei Schritte von meinem Bett zurück. Dann nickt er mir noch einmal zu, spannt seinen Schirm auf und verschwindet.
Ich räuspere mich – ein kratzender Ton, der zu dem Gefühl in meinem Hals passt. Kein Wunder, nach all den Tagen, in denen ich keinen Ton herausgebracht habe.
Aber was wird nun?
Was hat dieser seltsame Mensch gemeint, als er sagte, ich würde es sehen?
War er überhaupt ein Mensch?
War er überhaupt hier?
Sofort wandert mein Blick zu dem Punkt, an dem er gesessen hat. Kein Zweifel, der Stuhl, der normalerweise unter meinen Schreibtisch geschoben ist, steht immer noch direkt neben Bett und Nachttisch. Und dort liegt auch seine Sonnenbrille.
War das der Punkt, zu dem seine Augen gewandert sind, als er meinte, dass ich es sehen würde?
Schnell greife ich nach ihr und setze sie auf.
Nichts. Ich sehe immer noch nur mein abgedunkeltes Zimmer.
Sofort trachtet die Verzweiflung wieder danach, ihre klammen Finger um meinen Brustkorb zu schließen.
Doch dann erblicke ich einen goldenen Schimmer. Er dringt aus dem Spiegel auf der anderen Seite des Zimmers.
Ich werde es sehen, wenn ich mich selbst erblicke!
Ich springe auf und bin mit ein paar schnellen Schritten dort.
Da ist er – direkt mir gegenüber – und sieht mich lächelnd an. Er sieht zwar vollkommen anders aus, aber ich weiß genau, dass er es ist. Und er spricht zu mir. Ohne Worte. Und doch direkt zu meinem Herzen.
In diesem Moment wird die Zimmertür aufgerissen und meine Familie strömt hinein.
»Schatz«, haucht meine Mutter. »Kannst du uns hören? Kannst du ...?«
Ich nehme die Brille von meinem tränenüberströmten Gesicht und drehe mich zu ihnen herum.
»Ja«, antworte ich krächzend. »Ich bin wieder zurück. Aber wenn ich wieder einmal nichts sagen sollte, dann fürchtet euch nicht. Die Stille ist jetzt mein Freund.«
Borlangur kletterte die letzten von Flechten und Moos bewachsenen Stufen empor und trat auf ein kleines Plateau, von dem er zum ersten Mal seit langem einen Blick in die Landschaft werfen konnte. Nun bestand kein Zweifel mehr daran, dass die Neun mit der Umsetzung ihres Plans begonnen hatten. Wenn ihn in diesem Augenblick ein Künstler auf Leinwand gebannt hätte, dann würde das Bildnis wahrscheinlich nur einen Wanderer über einem Nebelmeer zeigen. Doch dass dieser Nebel nicht nur hunderte von Schritten tief hinunter reichte, sondern sich auch wie ein Lebewesen übers Land wälzte und dabei für die Dörfer der Überwältigten alles Licht verschlang, wäre nicht zu erkennen. Auch nicht die Bewegungen, mit denen seine Ausläufer wie gierige Zungen an allem leckten, das sich ihnen in den Weg stellte. Schon befanden sie sich nur noch wenige Schritte unterhalb der Klippe, auf der er stand und sie vermittelten sogar den Eindruck, nach der Sonne zu tasten, um auch sie verschlingen zu können. Unwillkürlich fuhr ein Zittern durch seine Glieder und brachte die Pfeile im Köcher auf seinem Rücken zum Klappern. Er hatte hier lang genug herumgestanden. Wenn er die Feste der Magi noch rechtzeitig erreichen wollte, dann musste er sich eilen. Mit einem Laut – halb unwirsches Grunzen, halb ahnungsvolles Keuchen – wandte er sich ruckartig von der Szenerie ab und benutzte die Laufaxt, um weiter nach dem Pfad zur Feste zu tasten. Es hieß, dass man keinesfalls mehr als einen Schritt von dessen Verlauf abweichen durfte. Wenn man es doch tat, dann verwandelten einen die Schutz-Zauber der Magi augenblicklich in etwas, das niemandem Schaden zufügen konnte – wie einem Baum oder Strauch. Seit er seinen Weg auf diesen Berg begonnen hatte, hatte er viele Bäume neben dem Pfad gesehen. Und Sträucher. Von Flechten und Moos ganz abgesehen. Zum Glück besaß das Kath’ral, das den Kern seiner Axt bildete, die Eigenschaft, auf Zauber – und seien sie auch noch so klein oder alt – zu reagieren. So konnte er an den Vibrationen, die sich durch den Schaft bis in die Hand ausbreiteten, mit der er sich beim Gehen darauf abstützte, erkennen, wenn er abzuschweifen drohte. Der Pfad wurde steiler und wand sich an der Klippe empor. Als Borlangur eine der scharfen Kehren umrundete, stockte ihm mit einem Mal der Atem. Das Maul des Drachen! Wie es die Schriften beschrieben haben. Voller Ehrfurcht trat er durch den schmalen Spalt, hinter dem sich der Stein zu einer riesigen, kreisrunden, auf allen Seiten von senkrecht aufragenden Felswänden umgebenen Fläche öffnete. Ist das überhaupt Stein? , fragte er sich und konnte nicht anders als die Wand zu seiner Rechten mit der Hand zu berühren. Obwohl sie sich glatt wie Glas anfühlte, war trotzdem klar, dass es sich immer noch um Stein handelte. Die Oberfläche wirkt wie geschmolzen und wieder erstarrt. Dann stimmen die alten Geschichten vielleicht wirklich und die Feste wurde in einem Drachenhort erbaut. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Furcht blickte er sich um. Ihm direkt gegenüber gähnte der gezackte Eingang zu einem Tunnel – groß genug, dass selbst ein Bergtroll in der Lage gewesen wäre, dort eine der gigantischen Belagerungsmaschinen hindurchzuziehen, die bei der Schlacht um Bar’shireen zum Einsatz gekommen waren. Oder für einen Drachen. Borlangur schnaubte – belustigt über seinen Gedanken. Drachen waren schon seit langer Zeit nicht mehr irgendwo gesehen worden. In diesem Augenblick veränderte sich etwas und ihm lief ein Schauer den Rücken hinunter. Es war in diesem Tunnel. Irgendwie schien sich die Dunkelheit darin verändert zu haben. Und von dort drang auch ein Geräusch zu ihm. Zwar kaum hörbar, aber er spürte die Vibrationen in seinen Fußsohlen. Und dann schob sich ein mächtiger dreieckiger Kopf durch die Öffnung, der nur dadurch überhaupt zu erkennen war. Die Haut darauf schimmerte in allen Schattierungen von Grau, sodass er vor dem Stein nur durch die Bewegung zu erkennen war. WAS IST DEIN BEGEHR?!, dröhnte es in Borlangurs Kopf. Doch anstatt darauf zu antworten, sprach der die Worte aus, die seit dem ersten Anblick ebenfalls dort umherschwirrten. »Bei allen Göttern – bist du schön.« Der Drache legte seinen Kopf schräg und gab ein überrascht klingendes Geräusch von sich, wobei kleine Rauchwölkchen aus seinen Nüstern quollen. Dann senkte er den Kopf so weit hinunter, dass er sich auf Höhe von Borlangurs Augen befand. SCHÖN? WAS SOLL DAS HEIßEN? »Na, ist das nicht klar? Deine Haut schimmert in allen Farben des Gesteins.« In diesem Augenblick wurde er von einer Bö getroffen – sengend heiß, wie der Wüstenwind – als der Drache ein Schnauben von sich gab. UND DAS SOLL SCHÖN SEIN? DA HABEN MEINE SCHWESTERN UND BRÜDER ABER EINE ANDERE MEINUNG. Nun war es an Borlangur, seinen Kopf schräg zu legen. »Möchtest du mir davon erzählen?« Da gibt’s nicht viel zu erzählen , erklang die Stimme des Drachen nun nicht mehr so allumfassend in seinem Kopf. Ihre Schuppen strahlen in Rot, Gelb, Grün ... alle Farben des Regenbogens sind dabei. Aber kein Grau. »Also bist du anders«, murmelte Borlangur. Ja, und weil ich nicht so bin wie sie, lassen sie mich hier unten Dienst tun. Wahrscheinlich, damit sie mich nicht ständig sehen müssen. »Anders«, sagte Borlangur noch einmal seufzend. »Vom Anders-Sein kann ich dir auch etwas erzählen.« Wieso? Du bist doch ein Elf, wie er im Buche steht. »Ha, da magst du sogar recht haben. Aber ich bin eine Waise. Ein Findelkind, das eigentlich keine Überlebenschance gehabt hätte. Aber ich wurde gefunden und aufgenommen ... von einer Zwergenfamilie.« Oh. »Stimmt. Als kleines Kind habe ich das gar nicht bemerkt. Von der Kraft her konnte ich immer mit meinen Freunden mithalten. Aber je älter ich wurde, umso größer wurde ich auch. Und da wurde mir klar, dass ich eigentlich nicht zu ihnen gehörte.« Also bist du dann zu deinesgleichen gegangen? »Ich hab’s versucht. Aber auch mit denen bin ich nicht klargekommen. Und sie auch nicht mit mir. Wer hatte schon je von einem Elf gehört, der sich unter der Erde oder zumindest umgeben von Stein wohler fühlt als im Wald?« Du hast mein Mitgefühl. »Und du das Meine«, antwortete Borlangur – froh darüber, dass er es jemandem hatte erzählen können. Dabei hob er seine Hand und legte sie, ohne nachzudenken, auf einen der Zacken, die das Haupt des Drachen umrandeten – so, wie er es auch mit der Schulter eines Freundes getan hätte. Etwas durchfuhr ihn wie ein Blitz. Vor ihm explodierte etwas in grellem Rot und Gelb. Instinktiv wollte er zurückfahren, doch die Hand war wie festgeklebt. Fassungslos starrte er auf die Veränderung, die sich vor seinen Augen abspielte. Die Augen des Drachen waren tellergroß geworden und schauten ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Erkennen an. Die Schuppen darum herum begannen, in allen Farben zu schillern, bevor sie wieder ihren ursprünglichen Farbton annahmen. Die Zacken jedoch erstrahlten in einem intensiven Rot, so hell, dass es vermutlich meilenweit zu sehen sein würde. Dann stimmen die alten Sagen vielleicht doch , erklangen die Worte des Drachen nun in seinem gesamten Körper. Wenn der Andere zum Anderen kommt, dann wird Eins aus Zwei und große Dinge geschehen. Nun konnte Borlangur seine Hand wieder lösen. Er trat einen Schritt zurück und besah sich auch die andere Veränderung, die mit dem Drachen vorgegangen war. Dort, wo sein langer Hals in den Körper überging – direkt über den Vorderbeinen und kurz vor dem Ansatz der mächtigen Flügel – hatte sich eine Mulde gebildet. Und sie schien wie dafür gemacht, sich dort hineinzusetzen. Nur zu, ich spüre es auch , kam es von dem Drachen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Mit zwei schnellen Sprüngen erklomm er den Drachenkörper und ließ sich in der Mulde nieder. Es fühlte sich an, als wäre er endlich zu Hause. Ich bin übrigens Borlangur, sandte er zum ersten Mal über ihre allumfassende innere Verbindung. Ich weiß , kam es zurück. Und ich weiß auch, was dich hergeführt hat. Halt dich fest. Wir fliegen hoch in die Feste, um zu berichten. Wenn meine Geschwister sehen, dass aus Drache und Reiter eine Einheit geworden ist, dann werden sie uns glauben. Wie ist eigentlich dein Name? Rudolf.
Ich erhob den Blick von meinen Berechnungen und wandte mich dem Versuchsaufbau zu, der in diesem Augenblick leise zu klirren begonnen hatte. Nach eingehender Prüfung sämtlicher Glaskolben, Messingzylinder und der Miniatur-Dampfmaschine, die alles antreiben würde, war klar, dass ich keinen Fehler gemacht hatte. Alle Dichtungen saßen fest und die gesamte Apparatur war durch eine Dämpfungsmatte vom Räderwerk der Mess- und Steuerinstrumente mechanisch entkoppelt. Dann konnte es nur noch einen Grund geben. Ich schob das Fenster auf, reckte meinen Kopf so weit nach draußen, wie ich es wagte, und schaute nach oben. Kein Zweifel, da war er. Nein, es waren sogar zwei Luftschiffe, deren Wege sich über meinem Labor kreuzten. Zwar flogen sie so hoch, dass man das Geräusch ihrer Propeller hier unten im geschäftigen Treiben auf den Straßen nicht wirklich wahrnahm, aber für meine auf das Registrieren feinster Verschiebungen zwischen materieller und feinstofflicher Welt kalibrierten Apparaturen, waren ihre Schwingungen auch aus der Höhe detektierbar – zumindest seit der Arkana-Rat die Verwendung von Helium als Füllung für die Ballone zugunsten des nicht entflammbaren destillierten Feenstaubs aufgegeben hatte. Ich seufzte und machte mich daran, wieder zurück an meinen Arbeitsplatz zu gehen. Da fiel mein Blick auf zwei Verschleierte, die auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig langsam aufeinander zuschlurften. Ich war nicht in der Lage, mich von ihnen abzuwenden, ähnlich wie auch ein paar der Passanten dort unten. Mit morbidem Interesse schauten wir ihnen fast unwillkürlich zu. Zwei der Passanten schienen eine Wette abzuschließen, ob sie es aneinander vorbei schaffen oder mit den Köpfen aneinandergelehnt stehenbleiben würden, bis jemand sich ihrer erbarmte. Natürlich trugen sie nicht wirklich einen Schleier, doch es hätte genauso gut sein können. Äußerlich glichen sie ganz normalen Menschen, doch sie schienen nichts von dem wahrzunehmen, was um sie herum vor sich ging. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass es immer mehr von ihnen gab. Mit einem unwilligen Schnauben, das ganz gegen meine eigene Unfähigkeit gerichtet war, mich zu konzentrieren, wandte ich mich von der Szenerie ab. Immerhin hatte ich mir ja zur Aufgabe gesetzt, genau dies zu ändern, wenn nicht sogar zu beenden. Ich nahm erneut den gesamten Aufbau in Augenschein und lauschte angestrengt. Das Klirren war vorüber und nirgendwo hatte sich etwas gelöst oder verschoben. Also konnte ich endlich die Analyse starten. Zuerst ließ ich eine Probe meines eigenen Blutes durchlaufen. Das Ergebnis war wie erwartet. Das übliche Verhältnis von klarer zu roter Substanz und ein ätherischer Koeffizient von 42 Astra. Ich säuberte alles und atmete tief durch, bevor ich die Probe einsetzte, die ich von Dr. Hoyt erhalten hatte. Er war Leiter der Zentralanstalt für unproduktive Einheiten, in der jeder Verschleierte früher oder später landete. Schließlich konnte man sie nicht mehr in den Fabriken arbeiten lassen. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich könnte jetzt noch nicht sagen, ob dies der Vorstellung geschuldet war, wie es in diesen armen Kreaturen aussehen mochte, oder dem Ergebnis, das in diesem Moment ausgegeben wurde. Null Komma fünf Astra?! Ich stutzte und kontrollierte noch einmal sämtliche Komponenten der Apparatur. Das konnte nicht stimmen. Selbst der erbärmlichste Wurm, der sich durch das Erdreich wühlte, besaß einen ätherischen Koeffizienten von mindestens fünf Astra. Doch mit meinen Instrumenten war alles in bester Ordnung. Das wirkt ja, als ob es sich nicht um einen Menschen handeln würde, sondern um ein Ding , ging es mir durch den Kopf. Oder als ob man ihm die Seele geraubt hätte! Schlagartig wurde mir eiskalt. Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder und griff geistesabwesend nach der Flasche, die auf dem Tisch daneben stand. Ich goss etwas der bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin in ein Glas und trank einen Schluck des sensationellen Brandys, den mir der Viscount of Iurington anlässlich meiner bestandenen Magistex-Prüfung geschenkt hatte. Der Viscount. Natürlich. Er muss davon erfahren! Ich stürzte den Rest des Getränks hinunter, schnappte mir die Untersuchungsergebnisse und meinen Mantel und verließ eilends das Haus. Erst als ich mich im Fahrgastabteil der Dampfdroschke wunderte, warum der Maschinenlärm geradezu ohrenbetäubend war, stellte ich fest, dass ich vergessen hatte, die auditiven Verstärker von meinen Ohren zu entfernen, bevor ich aus dem Labor gestürmt war. Doch ich vermied es, die teuren und zerbrechlichen Apparate abzunehmen und sie im Mantel zu verstauen. Ich wollte nicht riskieren, sie zu verlieren oder zerstören. Also drapierte ich mein Haar so, dass es sie verbarg und versuchte, den Lärm während der Fahrt zu ignorieren. Ich verließ die Droschke vor dem imposanten Anwesen des Viscount und sein Majordomus führte mich umgehend in den Wintergarten, der auf dem Dach des Gebäudes thronte. Er bat mich, in einem der Chesterfield-Sessel Platz zu nehmen, und ging zu seinem Herrn, um ihm meine Ankunft zu melden. Dieser befand sich gerade in einem Gespräch mit Lieutenant Ridiccle-Smythe, seinem Adjutanten. Zu meinem Erstaunen funktionierte der Verstärker selbst auf diese Entfernung noch gut genug, dass ich einiges davon verstehen konnte. Und bei dem, was ich mitbekam, stellten sich mir spontan die Nackenhaare auf. »... ätherischer Resonanz Harvester ... arkane Kristalle ... nächtliche Extraktion ... Kanalisierung der Essenz ...« »Wünschen Sie vielleicht einen Tee, während Sie warten?« Die Worte des Majordomus – obwohl in typischer Butler-Manier dezent ausgesprochen – ließen mich schmerzerfüllt zusammenzucken. Ich musste kurz die Augen schließen, um wieder klar denken zu können. »Gern einen Lady Grey, wenn es nichts ausmacht«, presste ich durch zusammengebissene Zähne. »Sehr wohl«, gab der Butler gleichwohl ungerührt zurück und verschwand mit einer leichten Verbeugung. Als ich meinen Blick wieder nach vorn richtete, musste ich mich daran hindern, ein weiteres Mal zusammenzuzucken. Der Lieutenant kam auf die Lounge zu, in der ich saß. Er nickte mir zu und setzte sich auf ein Sofa, das übereck zu meinem Sessel stand. Der Majordomus erschien mit einem Silbertablett, von dem er uns beiden eine Tasse Tee servierte. Dazu stellte er eine Kristallkaraffe mit Wasser und zwei Gläser. Der Lieutenant nippte an seinem Tee und behielt die Tasse in der Hand, als er das Wort ergriff. »Schön, Sie wieder einmal zu treffen, Hartwright. Erinnere ich mich recht, dass das letzte Mal bei der Abschlussfeier der arkanen Fakultät war?« Ich versuchte mich an einem unverbindlichen Geräusch und hoffte, dass er nicht weiter darauf eingehen würde. Doch er tat mir den Gefallen nicht. »Natürlich«, sagte er, als wäre es ihm gerade wieder eingefallen. »Sie hatten sich doch allen Ernstes von den Hempton-Brüdern zu einer alkoholischen Wette überreden lassen und sie dann beide unter den Tisch getrunken. Respekt.« Er prostete mir mit seiner Tasse zu. Bevor ich aber auch nur erneut einsilbig reagieren konnte, stellte er die Tasse ab und beugte sich ein Stück zu mir herüber. »Kann ich Sie dann vielleicht ebenfalls zu einem Gläschen in Ehren überreden?« Damit zückte er einen kristallenen Flachmann aus dem Jackett und goss daraus jeweils einen guten Schluck in die beiden Wassergläser ein. Spontan fasziniert schaute ich auf das glitzernd-irisierende Leuchten, das den Gläsern zu entsteigen schien. »Aus eigener Herstellung«, raunte er mir zu. »Ich nenne es ‘Soulforge Elixir’. Zum Wohl.« Er stieß mit seinem Glas an das meine, trank in einem Zug und legte mit geschlossenen Augen seinen Kopf in den Nacken. Dann öffnete er sie wieder und blickte mich mit leicht schräggelegtem Kopf an. Wenn es mir nicht schon die belauschten Gesprächsfetzen gesagt hatten, dann taten es nun Name und Anmutung des Getränks in dem Glas, das ich immer noch in meiner Hand hielt. Obwohl der Inhalt kühl war, hatte ich doch das Gefühl, es würde mir die Finger verbrennen. Soulforge – Seelenschmiede. Bedeutet das ...? »Was ist denn mit Ihnen?«, sagte der Lieutenant. »Sind Sie mit einem Mal abstinent geworden?« Ich hob meinen Blick und begegnete dem seinen, der nun einen stählernen Glanz angenommen hatte. Also trank ich. Der Effekt setzte augenblicklich ein. Während die ersten Auswirkungen durch meinen Körper fegten, wurde mir klar, dass diese Entscheidung von nun an mein Leben bestimmen würde.
Dieser Tag hätte so schön werden können. Acht entspannte Stunden im Amt, weil der Vorsteher ja nicht da ist, und dann ab in den Feierabend. Aber wenn das so weitergeht, dann seh ich das schon in einer Katastrophe enden. Friedhelm hetzte seinen Wagen – vollkommen entgegen seiner Natur – mit strafverdächtigen 61 Stundenkilometern durch den morgendlichen Verkehr. Nicht dass dies normalerweise an einem Montag nach der Umstellung auf die Winterzeit notwendig gewesen wäre. Da stand man ja eher eine Stunde zu früh auf. Nur leider hatte er seinen Funk-Wecker, der sich gestern standhaft geweigert hatte, sich zu aktualisieren, durch das Herausnehmen der Batterien einem Zwangs-Neustart unterziehen wollen. Und das hätte auch geklappt, wenn ihn nicht genau in diesem Moment seine Mutter angerufen hätte, um die alljährliche Frage zu klären, ob man denn die Zeit nun eine Stunde vor- oder zurückstellte. Da musste er die Batterien wohl versehentlich in die Tasche seines Morgenmantels gesteckt und sie dann dort vergessen haben. Also hatte er tatsächlich zum ersten Mal in seinem Berufsleben verschlafen. Ein Stück von ihm entfernt setzte jemand aus einer Parklücke zurück und er lenkte sein Auto mit der vorsichtigen Vermutung hinein, dass die Kette der Katastrophen, die er insgeheim vermutet hatte, vielleicht doch nicht so lang sein würde. Von hier aus war der Weg viel kürzer als von seinem angestammten Parkplatz, sodass er einen Teil seiner Verspätung wieder aufholen und die in jahrelanger Kleinarbeit zusammengetupperten Überstunden nicht mehr als notwendig reduzieren würde. Aber schon als er sein Büro betrat, bemerkte er einen Zettel, den ihm jemand auf den Schreibtisch gelegt hatte, und schon lief es ihm kalt den Rücken hinunter. So ein Zettel konnte eine weitere Störung seiner Pläne bedeuten. Und so war es auch. Meyer, ich muss Sie mit einer delikaten Angelegenheit betrauen, da ich – wie Sie wissen – am Montag nicht im Haus sein werde. Also müssen Sie als mein unerschrockenster Mitarbeiter die Außenprüfung übernehmen, die mir soeben und damit direkt vor meinem wohlverdienten Urlaub aufgetragen wurde. Fahren Sie zu der beigefügten Adresse und nehmen Sie dort alles genau in Augenschein. Ich zähle auf Sie. Müller. Unerschrocken – dass ich nicht lache, ging es Friedhelm durch den Kopf, nachdem er die Zeilen seines Vorgesetzten gelesen hatte. Natürlich habe ich keine Scheu, zu tun, was getan werden muss. Wenn es sich auf die Ausstellung von Bescheiden bezieht. Aber die Worte klangen durchaus danach, dass eine Beförderung drin sein könnte. Also begab er sich zu seinem Wagen und gab zum ersten Mal in seinem Leben eine Adresse in das Navigationssystem ein. Als er nach stundenlanger Fahrt aus seinem Auto stieg und auf das Anwesen zuging, das sich an der Adresse befand, stand die Sonne nur noch kurz oberhalb der Wipfel des finsteren Waldes, der sich rund um das auf einem karsten Felsen errichtete Bauwerk ausbreitete. Zwischen den Stämmen erhoben sich bereits erste Nebelschwaden und selbst die Sonne war von einem dunstigen Schleier dünner Wolken so bedeckt, dass ihre Strahlen kraftlos wirkten. Friedhelm straffte sich und stieg die unregelmäßigen, ausgetretenen Steinstufen bis zum Hauptportal empor, das im Zwielicht auf der sonnenabgewandten Seite lag. Neben dem hohen, aus mächtigen eisenbewehrten Holzbalken konstruierten Tor befand sich ein rostiger Ring an einer ebensolchen Kette, die aus dem Mauerwerk entsprang. Kaum hatte er vorsichtig daran gezogen, stob ein ganzer Schwarm schwarzer Krähen wild krächzend hinter den Zinnen der Burgmauer in die Höhe und ließ Friedhelm zusammenzucken. »Was ist euer Begehr?«, erklang direkt neben ihm die Stimme eines Greises und Friedhelms Blick, der sich unwillkürlich zusammen mit den Vögeln erhoben hatte, zuckte wieder nach unten. In einer Pforte, die sich mitten im rechten Torflügel aufgetan hatte, stand ein bleicher Mann in der Livree eines Butlers und schaute ihn mit mildem Interesse an. Seine Gestalt passte in keiner Weise zu seiner Stimme, denn er wirkte jünger als Friedhelm selbst. »Nun ... ich ... die Außenprüfung«, sagte Friedhelm krächzend und musste schwer schlucken. »Ah«, kam es vom Butler zurück. »Treten Sie ein. Sie werden erwartet.« Mit leicht zitternden Knien trat Friedhelm durch die Öffnung und zuckte ein weiteres Mal zusammen, als diese hinter ihm mit einem viel zu lauten Krachen ins Schloss fiel. Er wurde vom Butler durch einen Burghof und dann in die Eingangshalle des Haupthauses geführt. Trotzdem diese von einem mächtigen Kristall-Leuchter erhellt wurde, war diese Halle so groß, dass auf beiden Seiten der breiten mit schwarzem Samt bedeckten Freitreppe alles in Schatten versank. Und hatte er von dort nicht eben etwas wie ein kehliges Knurren vernommen? Friedhelm zog fröstelnd seinen Mantel enger um sich und folgte dem Butler weiter nach oben. Wenigstens geht es nicht nach unten – ins Verlies , schoss es ihm durch den Kopf. Schließlich erreichten sie eine hohe, doppelflügelige Tür aus Mahagoni. Sie knarrte zum Steinerweichen, als der Butler sie öffnete. Drinnen befand sich eine gigantische Bibliothek, die nur unzureichend von einigen kerzenbestückten Kandelabern auf einem Tisch aus Ebenholz erhellt wurde. In der durch schmale Holzstiegen erreichbaren zweiten Etage konnte Friedhelm schemenhaft große goldgerahmte Portraits dunkel gekleideter Männer erahnen. »Bittesehr«, ließ sich der Butler vernehmen und Friedhelms Blick zuckte zurück zu ihm. »Die Unterlagen, die Sie zu sehen wünschten.« Damit wies er auf eine große Anzahl auf dem Tisch verteilter Papiere. »Und etwas Tee zur Stärkung.« »Vielen Dank«, brachte Friedhelm nach einem Räuspern hervor. »Damit werde ich eine Weile beschäftigt sein.« Der Butler verneigte sich leicht und ging zu einer in der dunklen Holztäfelung kaum sichtbar eingelassenen Seitentür. Er öffnete sie und drehte sich noch einmal zu Friedhelm um. »Wenn noch etwas sein sollte, dann schreien Sie einfach. Wir werden Sie hören.« Dann trat er rückwärts durch die Türöffnung und schloss diese mit einem Knall. Friedhelm setzte sich, ohne den Mantel auszuziehen. Er beäugte die mit Grünspan überzogene Kanne, aus deren Tülle aromatisch riechende Dampfschwaden entwichen. Dann goss er sich kurzerhand einen Schluck in die bereitstehende Porzellantasse. Er wollte gerade etwas daraus trinken, als ein eisiger Lufthauch im Nacken traf, sodass er fast die Tasse fallengelassen hätte. Friedhelm fuhr herum, insgeheim darauf gefasst, direkt hinter sich eine durchscheinende Gestalt stehen zu sehen. Oder womöglich sogar in die leeren Augenhöhlen eines Sensenmannes zu blicken. Doch nichts dergleichen konnte er ausmachen. Er drehte sich wieder zurück und trank einen großen Schluck Tee, der es tatsächlich schaffte, ihn nicht mehr frösteln zu lassen. Dann nahm er sich die Papiere und begann sie durchzusehen, während er sich auf einem Zettel Notizen machte. Das plötzliche Aufflackern einiger Kerzen an den Wänden bemerkte er ebenso wenig wie das leise Wispern, das aus verschiedenen Richtungen durch den Raum schwebte. »Ich grüße Sie«, ließ Friedhelm eine Stimme ein weiteres Mal zusammenzucken. Es war zwar ein durchaus angenehmer Bariton, doch er hatte sich so in den Unterlagen vergraben gehabt, dass er nicht mitbekommen hatte, dass sein Träger die Bibliothek betreten hatte. Er drehte sich betont langsam in die Richtung, aus der er angesprochen worden war. »Gestatten, Karl Balthasar Neumann, Freiherr von Burghausen«, ergänzte der Mann, den Friedhelm dort sah. Anders als er vermutet hatte, war dieser nicht in ein antikes Gewand gekleidet, sondern in einen exquisit aussehenden Business-Anzug. »Und? Wie gefällt Ihnen unsere Event-Location?« »Angemessen«, gab Friedhelm nach kurzem Überlegen zurück. »Ob das jedoch auch auf diesen Posten in Ihrer Erklärung zutrifft, wage ich zu bezweifeln.« Er erhob sich und präsentierte dem Freiherrn ein Dokument, das er in der Hand hielt. Dieser besah es sich und lächelte unbeeindruckt. »Oh, aber absolut. Sehen Sie, es handelt sich um einen Posten antiker Eisenketten, die unser Hausgeist als Ersatz für die inzwischen leider verschlissene rostige Rasselkette benötigt.« »Hausgeist?« »In der Tat. Er existiert tatsächlich und ist der Grund dafür, dass wir aus dem Stammsitz meiner Familie diesen Themenpark erschaffen haben.« Friedhelm musterte den Mann eine Weile. Dann drehte er sich zum Tisch zurück, nahm von dort ein anderes Blatt und hielt es ihm hin. »Was ist das?«, fragte der Freiherr mit einem Krächzen, das seinem Butler alle Ehre gemacht hätte. »Der Bescheid über dreihundert Jahre hinterzogene Märchensteuer.«
An jenem Herbstmorgen war Nebel heraufgezogen. Trotzdem waren die beiden Krähen aufgebrochen. Bald verloren ihre Rufe sich im undurchdringlichen Weiß, und sie fanden gerade noch das Dach, auf dem sie verabredet waren. Kaum hockten sie auf dem Giebel, zog sich der Nebel weiter zusammen, lag so dicht über der Stadt, dass die beiden Krähen nicht einmal ihre Flügelspitzen sehen konnten. Sie hockten auf dem Giebel, Federn an Federn, und spürten an ihren freien Seiten die Unendlichkeit von Nichts. Sie schmiegten sie sich noch enger aneinander. Das ist der Anfang von Maikes Idee zum Thema. Die gesamte Geschichte findet ihr hier .
Oh, Freitag der 13. – na da bin ja gespannt, was der Tag heute für mich bereithält. Haralds Blick war im Aufwachen auf das Display seines Smartphones gefallen, das auf der Ladestation im Standby-Modus wie ein altmodischer Digital-Wecker aussah und in rot leuchtenden Zeichen Tag und Uhrzeit anzeigte. Es war nicht so, dass er irgendwelche Schwierigkeiten erwartete, denn er war nicht abergläubisch und wenn überhaupt, dann hatte dieses Datum bisher eher Gutes für ihn zu bedeuten gehabt. Immerhin hatte er an einem solchen Freitag vor vielen Jahren seine Führerscheinprüfung trotz kniffligster Situationen bestanden. Er fuhr sich mit einer Hand über Gesicht und Kopf, um endgültig wach zu werden, stutzte kurz, schüttelte dann aber schmunzelnd den Kopf und tat das Gefühl als letzten Rest seiner Schläfrigkeit ab. Im Bad angekommen wich diese Schläfrigkeit jedoch direkt dem Erstaunen, als Harald sein Spiegelbild erblickte. Kein Zweifel. Da waren Haare. Überall auf seinem Kopf. Grundsätzlich wäre diese Tatsache nicht besonders bemerkenswert gewesen, doch aufgrund einer Autoimmun-Erkrankung hatte er schon seit Jahren kein einziges Haar mehr auf dem Kopf gehabt – nicht einmal Augenbrauen oder Wimpern. Und nun zierte ein dichter Haarschopf den Bereich des Haupthaars, während Bartwuchs Kinn und Wangen bedeckte. Hat mir dieser Rabe irgendein schräges Geschenk gegeben, als er mir gestern Nacht im Flug auf den Kopf gekackt hat? , ging es ihm spontan durch den Kopf und er musste erneut schmunzeln. Dann besah er sich sein Konterfei erneut und überlegte, was er nun mit diesem Geschenk – wenn es denn eins gewesen war – anfangen sollte. Er war nicht unbedingt ein Fan von vielen Haaren auf dem Kopf – besonders nicht in Form von Bartwuchs. Aber das vollkommene Fehlen von Haaren hatte ihn in den letzten Jahren doch genervt. Besonders die Tatsache, dass ihm durch die fehlenden Brauen und Wimpern schon bei geringster Anstrengung sofort der Schweiß in die Augen lief, war lästig. Na, das ist jetzt endlich vorbei. Aber der Bart muss was kürzer. Hab ich nicht im Schrank noch irgendwo den Trimmer? Harald wollte sich schon vom Spiegel abwenden und zum Badschrank gehen, um nach dem Gerät zu suchen, als ihn eine Bewegung innehalten ließ. Es waren die Barthaare. Sie bewegten sich nicht im eigentlichen Sinn. Sie schienen kürzer zu werden. Fasziniert starrte er auf das sich verändernde Spiegelbild, bis es ihn nur noch mit einem gut ausgearbeiteten Drei-Tage-Bart zeigte. Instant Barber-Shop, der Hammer! Geht das vielleicht auch mit dem Rest? Harald überlegte eine Weile, was er sich wünschen sollte. Dann erstand vor seinem inneren Auge eine Frisur, die er einmal neidisch bei einem Model betrachtet hatte. Ein ausgeprägter Undercut mit kurzem, eng anliegendem Haar auf beiden Seiten und extrem langem Deckhaar, das dieser im Nacken zu einem tiefen Pferdeschwanz gebunden hatte. Er öffnete die Augen und sah sich mit exakt dieser Frisur. Wie er insgeheim immer gedacht hatte, passte sie perfekt zu seiner Kopfform und verlieh ihm so ein extravagantes, wildes Aussehen. Geil. Kann das vielleicht sogar Farbe? Spontan strahlte der Schopf in allen Regenbogenfarben und Harald prustete unwillkürlich los. Dann konzentrierte er sich auf eine Farbgebung, die ihm für den heutigen Tag passender erschien: Bleigrau, mit einzelnen silbernen Strähnen oben und einer silbrigen Betonung der Kerbe an seinem Kinn. Das Ergebnis ließ ihm die Knie weich werden. So wollte ich schon immer aussehen. Danke. Ein kurzes Vibrieren fuhr durch die Behaarung und er hatte das Gefühl, dass sein Dank angenommen worden war. Auch wenn er dabei ein leicht mulmiges Gefühl in der Magengegend verspürte, überwog doch die Freude darüber, sich endlich vollständig zu fühlen. Harald fasste den Pferdeschwanz mit einem silbernen Ring zusammen und beendete seine Morgentoilette, bevor er sich anzog und frühstückte. Danach verließ er die Wohnung und ging Einkaufen fürs Wochenende. Er hatte sich vorgenommen, es komplett zur Aufarbeitung seiner noch nicht vollständig gesehenen Serien bei diversen Streaming-Diensten zu nutzen, weil er sich gerade erst von seiner Partnerin getrennt hatte und alle seine Kumpels etwas anderes vorhatten. Also stieg er in seinen Wagen und machte sich auf in den Supermarkt. Fast hätte er schon auf der Hinfahrt einen Menschen überfahren. Er war auf halber Strecke zum Markt und im Kopf noch einmal alle Dinge durchgegangen, die er besorgen wollte, als sich eine Haarsträhne anscheinend an der Kopfstütze verfing. Spontan hatte er das Gefühl, sein Kopf würde schmerzhaft nach rechts gezogen. Dieser Moment – so kurz er auch war – hätte fast gereicht, um die alte Dame zu übersehen, die gerade von links auf den Zebrastreifen vor ihm getappt war. Sofort machte Harald eine Notbremsung und entschuldigte sich bei der zu Tode Erschreckten. Immer noch mit zitternden Knien betrat er wenig später den Markt und versuchte dort, sich an seine Einkaufsliste zu erinnern. »He, passen Sie doch auf!«, riss es Harald aus seinen Gedanken. Sein Kopf zuckte zu der Stimme herum. Er sah eine Frau, die eine Hand auf ihren Hinterkopf gepresst hielt und ihn mit wütendem Blick anschaute. »Entschuldigung, was ...?«, setzte er an, doch mit einem Mal hatte er das Gefühl, seine Lippen würden versiegelt. Er konnte sie einfach nicht mehr öffnen. »Was? Ich erzähl Ihnen, was! Passen Sie besser auf Ihren Zopf auf!« Pferdeschwanz , wollte Harald sagen, aber immer noch fühlte es sich an, als wäre sein Mund von außen zugeschnürt. Er betastete die Lippen und stellte überrascht fest, dass sich direkt um den Mund doch noch längere Barthaare befanden, die sich irgendwie verknotet haben mussten. Bis er damit fertig war, sie zu entheddern, hatte die Frau sich mit einem Fluch über dämliche Typen abgewandt und war davongerauscht. Harald wollte ihr hinterher, um sich zu entschuldigen, als seine andere Hand den Punkt berührte, an dem er seinen Pferdeschwanz befestigt hatte. Nur waren dort weder der Ring noch ein Pferdeschwanz. Stattdessen ertastete Harald einen dicken geflochtenen Zopf, an dessen unterem Ende sich der Ring nun befand. Scheiße, habe ich das gar nicht mitbekommen, dass ich ihn mir geflochten habe? Und dann muss ich beim Nachdenken auch noch ne Kopfbewegung gemacht und die Frau mit dem Ring getroffen haben. Hätte nicht gedacht, dass das mit diesen Haaren doch gar nicht so einfach ist. Vorsichtig machte sich Harald danach daran, seine Einkäufe zu erledigen, ohne noch jemanden zu beeinträchtigen. Auch die Rückfahrt geriet beinahe zur Katastrophe. Harald bog gerade um eine Ecke, als mit einem Mal etwas wie ein schwarzes Tuch über seine Augen fiel. Fieberhaft versuchte er, es zur Seite zu wischen, damit er wieder sehen konnte, wohin er fuhr. Er bremste und schaffte es schließlich mit beiden Händen, den Pony, der ihm gewachsen war, zu teilen. Zu seinem Entsetzen bemerkte er, das sein Wagen kurz vor einer stark frequentierten Fußgängerzone zum Stehen gekommen war. Mit hämmerndem Herzen und kaltem Schweiß am ganzen Körper fuhr er im Schritttempo bis zu seinem Parkplatz, lud die Einkäufe aus und brachte alles in die Wohnung. Aber er fand den ganzen Abend über keine Ruhe. Weder die actiongeladenen noch die hochspannenden Serien konnten ihn vom Kreisen seiner Gedanken abbringen. Schließlich ließ er sich ins Bett fallen, ohne auch nur einen Bissen zu sich genommen zu haben. Scheiß auf die Packungsbeilage , dachte er im Einschlafen. Morgen nehm ich die ganze Tube Enthaarungscreme und schmier sie mir auf den gesamten Kopf! Da meinte Harald ein Knistern zu hören. Plötzlich wurde sein Kopf immer weiter nach hinten in sein Kissen gezogen. Instinktiv wollte er sich aufsetzen, doch er konnte den Kopf nicht bewegen. Dann bemerkte Harald, wie sich eine feste Haarsträhne um seinen Hals schlang und langsam zuzog.
Wieso hab ich mich darauf eingelassen? Porthea hielt nur mit Mühe einen Seufzer zurück. Mehr ein Stöhnen. Sie mochte Gesellschaft – vor allem ihre eigene. Sie mochte, dass die Arbeit am Portal viel Zeit allein bedeutete, weil andere Wesen kamen und vor allem wieder gingen. Kurz, der entscheidende Punkt: Sie blieben nie lange da. Alles Drax‘ Schuld!, fluchte Porthea still vor sich hin. Wenn Drax ihr dieses Abenteuer nicht aufgezwungen hätte, wäre sie immer noch allein hier, hätte sich nicht in einem Moment fehlgeleiteter Zuneigung und Begeisterung dazu hinreißen lassen, jetzt schon eine Nachfolgerin auszusuchen, die nun hier bei ihr lebte und die sie ausbilden musste, statt ihre einsamen Zeiten zu genießen. Na gut, irgendwann hätte sie sowieso eine Nachfolgerin ausbilden müssen. Aber auch hier wieder war genau das der Punkt: irgendwann. Weit in der Zukunft. Nicht jetzt. Das ist der Anfang von Maikes Idee zum Thema. Die gesamte Geschichte findet ihr hier .
»Ach je, Shaun. Bist du schon wieder mitten in der Arbeit verendet?«, murmle ich, während ich auf ihn zugehe. Shaun zwinkert indigniert. Nein, das tut er natürlich nicht, denn er ist eine Maschine. Genauer gesagt ein Rasenmähroboter, den ich genau aus diesem Grund auch so getauft habe. Shaun, das Motorschaf. Weil es in dem Online-Shop, wo ich ihn erworben habe, unter der Rubrik »Kunden kauften auch« so plakativ ausgestellt worden war, hat er dazu passend auch ein vom Charakter der Animations-Reihe inspirierten Aufkleber erhalten, der nun seine Plastik-Oberfläche ziert. Und nun kann ich es einfach nicht leugnen – eins der Augen zwinkert mir zu. Hab ich jetzt schon Hallus oder was? War das alles doch zu viel? Ich lasse meinen Blick umherschweifen, während ich den letzten Gedanken in meinem Herzen bewege. Ja, es könnte sein, dass ich mir als Mensch, der es bisher maximal mit den Grünpflanzen in seiner Wohnung zu tun gehabt hat, wirklich etwas zu viel zugetraut habe, als ich von meinen Nachbarn den etwa 800 Quadratmeter großen Garten übernommen habe. Und das neben einem Job, der mich an den Wochentagen mindestens zehn Stunden pro Tag auf Trab hält – an vielen Wochenenden auch. Aber genau genommen hatte ich keine andere Wahl. Jahrelang hatte ich vom Balkon meiner Wohnung den zauberhaften Anblick des Gartengrundstücks genossen, den das passionierte Gärtner-Ehepaar dort hegte und pflegte. Jede Saison hatte ihren ganz persönlichen Charme und eigene Farben. Doch dann erlitt die Frau einen Schlaganfall und kehrte aus dem Krankenhaus nicht wieder. Das wiederum versetzte dem Mann einen schweren Schlag. Er schien um mindestens zehn Jahre gealtert – und das bei seinem ohnehin schon hohen Alter. Kurze Zeit später traf ich ihn auf der Straße. Er war mit dem Rollator unterwegs, was mich schockierte. Eine Woche vorher hatte er noch mit seinem Elektromäher unermüdlich die nicht unerhebliche Rasenfläche des Gartens bearbeitet. Wir unterhielten uns und dabei erzählte er mir, dass er händeringend einen neuen Eigentümer für seinen Garten suche. Er selbst fühle sich nicht mehr in der Lage – zumal allein. Außerdem werde er über kurz oder lang gar nicht mehr herkommen können, da er in ein Seniorenheim umziehen würde. In diesem Augenblick lief es mir kalt den Rücken hinunter. Ich dachte an den Nachbarn auf der anderen Seite, der das, was früher einmal ein Vorgarten gewesen war, in eine Wüste aus Granit und polierten weißen Kieseln verwandelt hatte. Und der von gegenüber war ein Immobilienhai erster Güte, der sich dieses Filetstück im Grünen sicher nur zu gern unter den Nagel reißen würde, um dort eine Maximalbebauung mit größtmöglichem Profit umzusetzen. Also fragte ich den alten Herrn kurzerhand, was er denn für den Garten haben wollen würde. Ich hatte einen gut bezahlten Job und kam im Prinzip kaum dazu, das Geld auszugeben. Also hatte ich einiges auf der hohen Kante. Seine Antwort hätte mich gleich stutzig machen müssen, denn er sagte, dass er kein Geld wolle, nur die Zusicherung, dass sich der zukünftige Eigentümer nach Kräften darum bemühen würde, den Garten zu erhalten. Aber bevor sich der Gedanke verfestigen konnte, hatte ich ihm auch schon zugesagt. Zwei Wochen später war der Papierkram beim Notar erledigt worden, und ich war Gartenbesitzer. »Wenn der Garten schon so schön eingewachsen ist und es zwei alte Leutchen geschafft haben, den zu bearbeiten, dann sollte es doch auch für mich möglich sein, ihn wenigstens instandzuhalten«, brumme ich vor mich hin. Ich seufze und will mir die Gartenhandschuhe anziehen. Doch ich stocke, denn in diesem Augenblick höre ich ein Geräusch. Ein leises Lachen. Mein Kopf fährt herum zur Quelle des Geräuschs. Es ist Shaun, der mir – passend zum tiefen Glucksen des Lachens – nun eindeutig zuzwinkert. Fassungslos lasse ich die Handschuhe fallen, gehe die letzten paar Schritte bis zu meinem gestrauchelten Mähroboter und hocke mich vor ihm hin. Da erkenne ich meinen Fehler. Es ist nicht Shaun, der mit seinen aufgeklebten Schafsaugen gezwinkert hat. Es ist ein kleines grünliches, im Ganzen aber eher durchscheinendes Geschöpf, das auf Shauns Gesicht herumtanzt und sich dabei anscheinend vor Heiterkeit den Bauch hält. »Er hat’s immer noch nicht begriffen«, ertönt plötzlich die Stimme des Wesens. Sie ist auf diese Distanz ziemlich laut und hat erstaunlicherweise etwas vom Quaken eines Ochsenfrosches. Das war’s, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt bist du offiziell übergeschnappt. Irgendwie hat der Gedanke etwas Befreiendes. Und so lasse ich mich vollständig im Gras nieder und wende mich an das Wesen – ob es nun bloß in meiner Einbildung existiert oder nicht. Immerhin kann mich ja niemand anders hören. »Was genau ist es, das ich nicht begriffen habe?« Die Worte haben durchschlagende Wirkung auf mein Gegenüber. Das Männchen, denn als solches kann ich es inzwischen erkennen, erstarrt. So kann ich es noch besser sehen und bemerke auf seinem Rücken zwei Paar durchscheinender Flügel. Dann kommt wieder Bewegung in ihn. Er legt den Kopf schräg und mustert mich mit winzigen Augen, in denen smaragdenes Feuer zu brennen scheint. »Du kannst mich hören?«, brummt es. »Sehen übrigens auch«, bemerke ich und muss schmunzeln, als es daraufhin fast hintüber kippt. »Ernsthaft?« »Jep. Und wo wir schon so weit gekommen sind, sollten wir uns da nicht einander vorstellen? Ich bin Linus.« Anstatt zu antworten, fängt der kleine Kerl wieder an zu lachen und plumpst auf seinen Hintern. »Wie der Typ, der immer mit der Kuscheldecke rumrennt?« »So gesehen schon. Aber Moment mal ... du kennst die Peanuts?!« »Ach ... heißen ... die ... so?«, keucht das Männlein und scheint sich Tränen aus den Augen zu wischen. »Opa hat immer nur was von Charlie Brown, Snoopy und so weiter erzählt, wenn er seinem Enkel vorgelesen hat.« »Du kennst den alten Herrn, dessen Garten das hier ist ... äh war?« »Genau genommen hab ich es ihm erlaubt, sich auf unserem Grund niederzulassen«, wirft er ein. »Okay? Also konnte er dich auch sehen?« »Nur hören. Was dich tatsächlich zu etwas Besonderem macht und mich damit in eine Zwickmühle bringt.« »Inwiefern?« »Eigentlich war ich drauf und dran, dich so lange kirre zu machen, bis du aufgibst. Aber bisher hat mich noch nie jemand sehen können. Ich habe das Gefühl, das muss was zu bedeuten haben.« Er schaut stumm in die Luft und scheint nachzudenken. »Vielleicht, dass ich deine letzte Chance bin«, sinniere ich. »Inwiefern?«, fragt nun er. »Herr ... na nennen wir ihn mal Opa. Opa also hat mir gesagt, dass er große Schwierigkeiten hatte, jemanden zu finden, der sein Grundstück übernimmt.« »Das eigentlich nicht seins ist, sondern ...« »Schon seit Urzeiten dir gehört«, werfe ich salbungsvoll ein. »Nein, uns«, gibt er ungerührt zurück. »Aha. Und wer seid ihr?« Einen Moment lang wirkt sein Gesicht verschlossen, dann aber zuckt er mit den Schultern. »Ach, was soll’s. Wir sind die Waldfeen.« »Und du bist?« »Rolf.« Ich kann es nicht verhindern, dass ich lospruste. »Rolf, die Waldfee!« Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Und? Was ist daran so komisch?« Mühevoll bezwinge ich meinen Lachanfall. »Eigentlich gar nichts. Sagen ... sagen wir einfach, dass wir, was Namen angeht, quitt sind.« Rolf mustert mich eine Weile, dann nickt er brummend. »Jetzt aber nochmal zu dem, was ich vorhin gefragt habe. Was bitteschön, habe ich denn immer noch nicht begriffen?« »Na, das ist doch klar. Dass du auf diese Art und Weise nicht in der Lage sein wirst, einen ... du nennst es Garten ... dauerhaft am Leben zu halten.« »Was soll ich denn noch machen?!«, bricht der Frust über exakt diesen auch von mir inzwischen befürchteten Umstand aus mir heraus. »Ich hab nen Job, der mir nicht viel Zeit lässt. Also hab ich ne Menge Geld in das Bewässerungs-System und in Sh... also den Mähroboter investiert, damit die grundsätzliche Pflege schon mal funktioniert, ohne dass ich dabei sein muss. Und für die Feinarbeit habe ich mir extra noch diese App ...« »Sag ich doch«, unterbricht mich Rolf. »Du hast keine Ahnung, wie du das mit den Pflanzen anstellen sollst.« Ich hebe einen Zeigefinger und ergänze: »Und ich gehe regelmäßig durch den Garten und rede den Pflanzen gut zu. Das stand in dem Rat...« Beim Anblick von Rolfs mitleidigem Kopfschütteln lasse ich die Worte diesmal selbst verklingen. »Ist ... ist das mit dem Reden also Schwachsinn?« »Nein, nein«, erwidert Rolf grinsend. »Aber du kannst nicht einfach bei allen das gleiche Gesäusel ablassen.« Er weist auf die Kletterrose, die sich bisher konsequent geweigert hat, meiner gespannten Rankhilfe zu folgen und auf das Dach des neu aufgebauten Gartenschuppens zu klettern. »Bobby-James da drüben zum Beispiel braucht’s richtig dreckig. Der muss man immer wieder mal in die Blüten flüstern, dass sie gefälligst hinne machen soll, wenn sie nicht will, dass ihr die Wurzeln einzeln gezogen werden. Da steht die voll drauf.« Mir klappt die Kinnlade hinunter. »Sowas gibt’s?« »Glaub mir. Es gibt nix, was es nicht gibt.« »Okay. Ich geb’s zu. Ich hab keinen Schimmer, wie ich das alles schaffen soll. Aber ich will auch nicht, dass irgendein Typ an das Grundstück kommt und hier plötzlich mit fetten Baggern auftaucht – vertragliche Vereinbarung oder nicht.« Rolfs Augen werden groß. »Sowas machen die?« »Glaub mir. Ex gibt nix, was es nicht gibt.« »Wie wäre es dann mit nem Deal?«, fragt Rolf mit einem vorsichtigen Lächeln. Ich hebe eine Augenbraue. »Na ja, du sorgst dafür, dass hier keiner mit so einem ... Bagger aufkreuzt. Und ich sorge dafür, dass hier alles grünt und blüht.« »Das würdest du machen?« »Klar.« »Und der ganze Technik-Kram? Was wird daraus?« »Den kannst du lassen, wo er ist. Er macht ja wenigstens nix kaputt.« Zwei Tage später habe ich ausnahmsweise einmal vor Sonnenuntergang Feierabend machen können. Mein erster Weg führt in den Garten. Und ich traue meinen Augen kaum. Überall wächst und gedeiht alles. Sogar die Rose ist so weit gewachsen, dass sie das Dach fast schon erreicht hat. In diesem Moment kommt Shaun an mir vorbei über den Rasen gefahren. Er fährt dabei geradezu irrwitzige Kurven und Schleifen und ich könnte schwören, über das leise Summen des Elektromotors jemanden singen zu hören: »Hey-hey-hey, ich bin der grüne Reiter ...«
Roman Tasy stand auf der Visitenkarte. Vermittlungen. Ich drehte sie hin und her. Las die Anleitung auf der Rückseite zum ich-weiß-nicht-wievielten Mal. Sie war kleingedruckt. Sehr klein gedruckt. Wahrscheinlich steckten tausend Fallstricke in dem Text. Und mehr. Mir wäre schon wohler gewesen, wenn wenigstens eine Berufsbezeichnung auf der Karte gestanden hätte. Matchmaker. Flaschengeist. Hexe, Spezialgebiet Liebeszauber. Gute Fee. Liebesgöttin. Kobold. Dämonin. Das hätte wenigstens einen Anhaltspunkt gegeben dafür, wen man da heraufbeschwor, wenn man der Anleitung folgte. Aber weder verriet mir das die Karte, noch hatte Nanna ein Wort darüber verloren, als sie mir die gestern in die Hand gedrückt hatte. „Hier, das ist alles, was du brauchst“, waren ihre einzigen Worte dazu gewesen. Auf alle meine Nachfragen hatte sie nur sanft lächelnd den Kopf geschüttelt. „Du wirst schon sehen. Vertrau mir.“ Das ist der Anfang von Maikes Idee zum Thema. Die gesamte Geschichte findet ihr hier .
Das Umblättern einer Seite übertönte das Flüstern der Bücher. Porthea zuckte zusammen. Gleichzeitig wisperte Ilana ihr zu: „Hörst du das auch?“ Porthea schluckte und nickte. Ja, sie hörte, wie die Bücher um Hilfe baten. Wie konnte das sein? Und warum blieben alle, die links von ihnen an den Tischen saßen und in die Bücher vertieft waren, so völlig unbeeindruckt davon? Porthea lauschte – die Bücher auf den Tischen waren still. Aber aus den Regalen wisperte es weiter: „Helft uns, bitte, helft uns.“ Vielleicht versteckten sich da welche? Nur, weil sie dort ausschließlich Bücher sah, musste das ja nicht heißen, dass sich niemand sonst dort verbarg. Sie kniff die Augen zusammen und musterte die scheinbar unendlichen Reihen von Büchern, zuckte zusammen, als sie ein Zupfen am Ärmel spürte. Ilana. Die hatte sie kurz ganz vergessen. Ilana deutete mit dem Kinn auf eine der tiefen Regalschluchten. „Irgendwo dort spüre ich Draks.“ Das ist der Anfang von Maikes Idee zum Thema. Die gesamte Geschichte findet ihr hier .